Triebwerkstart

Der Triebwerkstart wird in zwei Phasen unterteilt: die Zündphase und die Schubaufbauphase. Die Triebwerkszündung dauert 2,3 Sekunden. Nach 2,4 Sekunden wird die Closed-loop-Schubkontrolle initiiert, womit die Schubaufbauphase beginnt, die 2,6 Sekunden dauert.

Startsequenz: Triebwerkszündung

Unmittelbar nach dem Startkommando wird das Hauptwasserstoffventil innerhalb von 0,6 Sekunden vollständig geöffnet. Der flüssige Wasserstoff füllt das restliche System und beginnt damit, die Hochdruckturbinen anzutreiben. Die latente Wärme der Hardware vermittelt dem Wasserstoff genug Energie, um im frühen Teil der Startsequenz als Expanderzyklus-Triebwerk zu funktionieren. Dieses macht jede zusätzliche Energiequelle in der Startsequenz unnötig, führt aber auch zu einer thermodynamischen Instabilität, welche als Treibstoffsystemoszillationen bezeichnet wird. Wenn der kalte Flüssigwasserstoff in die Schubdüse fließt, führt die latente Wärme der Hardware zu einer schlagartigen Ausdehnung des Wasserstoffs, die eine Fließblockade und eine vorübergehende Flußumkehr auslöst. Das Ergebnis ist eine Pulsation im Treibstofffluß mit einer instabilen Druckoszillation bei einer Frequenz von ungefähr 2 Hertz. Die Oszillationen steigern im weiteren Verlauf ihre Amplitude mit Druckabfällen (Dips) bei etwa 0,25 sowie 0,75 und 1,25 Sekunden bis der sich aufbauende Hauptbrennkammerdruck nach 1,5 Sekunden zu einer Stabilisierung führt (Idiosynkrasie der Treibstoffsystemoszillationen).

Simultan mit der Öffnung des Hauptwasserstoffventils werden die Funkenzünder in den drei Brennkammern mit elektrischer Energie versorgt. Durch Öffnung des Hauptwasserstoffventil gelangt zuerst der Wasserstoff, später der Sauerstoff über die Öffnung der drei Sauerstoffventile in die Brennkammern. Jedes Ventil besitz eine Sauerstoffleitung zu den Funkenzündern, die zu Beginn der Ventilöffnung etwa 5 % des Sauerstoffs direkt zu den Funkenzündern leitet. Wenn dann die Treibstoffe zum Zeitpunkt des zweiten Dips der Oszillationen das richtige Mischungsverhältnis haben, wird der Verbrennungsprozeß durch die Funkenzünder gezündet.

Priming

Priming ist der Prozeß der Füllung des Systems mit den flüssigen Treibstoffen, ähnlich einer alten Handschwengelwasserpumpe. Ein Sauerstoffsystem ist "geprimt", wenn es bis zur Brennkammer gefüllt ist und die Flußrate, die in den Injektor fließt, genauso groß ist wie die, die den Injektor verläßt, um in der Brennkammer verbrannt zu werden. Dies führt dann zu einem rapiden Anstieg des Brennkammerdrucks. Die vorgesehenen Priming-Zeiten der drei Brennkammern liegen jeweils nur eine zehntel Sekunde auseinander: Wasserstoffvorbrenner bei 1,4 Sekunden, Hauptbrennkammer bei 1,5 s und Sauerstoffvorbrenner bei 1,6 s.

Nachdem das Hauptwasserstoffventil beginnt, sich zu öffnen, erhalten die drei Sauerstoffventile eine Reihe von Stellkommandos, um präzise die Sauerstoff-Priming-Zeiten für die drei Brennkammern zu kontrollieren. Das erste Sauerstoffventil, das Kommandos erhält, ist das Wasserstoffvorbrenner-Sauerstoffventil. Dieses wird nach einer Verzögerung von 0,100 s mit seiner maximalen Geschwindigkeit zu 56 % geöffnet. Nach 0,72 s wird die Ventilöffnung um 10 % vermindert, um anschließend erneut zu öffnen. Dies ist zur Kompensation des zweiten Druck-Dips der Treibstoffsystem-Oszillationen und zur Vermeidung von zerstörerischen Temperaturspitzen in der Hochdruck-Wasserstoff-Turbopumpen-Turbine nötig. Während dieses Dips wird der Wasserstoffvorbrenner gezündet und führt zu einer geringfügigen Zunahme der HPFTP-Geschwindigkeit. Kurz vor dem dritten Dip wird das Wasserstoffvorbrenner-Sauerstoffventil erneut für den Rest des Primings gedrosselt (Bild 1 und 2).

Nach 1,25 s wird bei einem Sicherheitscheck überprüft, ob die HPFTP-Drehzahl hoch genug ist, um die Priming-Sequenz sicher fortzusetzen. Die Geschwindigkeit muß mit mindestens 4.600 upm hoch genug sein, um zur Priming-Zeit der Hauptbrennkammer genug Wasserstoff gegen den Gegendruckanstieg, der durch das Hauptbrennkammerpriming entsteht, zu pumpen. Andernfalls würde der Sauerstoffüberschuß zu einem Durchbrennen des Triebwerks führen. Wenn die Geschwindigkeit nicht hoch genug sein sollte, muß das Triebwerk bei 1,25 s abgeschaltet werden, da zu einem späteren Zeitpunkt in der Startsequenz ein sicheres Abschalten nicht mehr möglich wäre (Bild 1).


Bild 1: Anfahren der Hochdruck-Wasserstoff-Turbopumpe mit Drehzahlüberprüfung nach 1,25 Sekunden.    (Grafik: NASA via Biggs)

Wenn nach 1,4 s das Priming des Wasserstoffvorbrenners erreicht ist, entsteht ein rapider Anstieg des Einlaßdruckes an der HPFTP-Turbine. Da bis zum Priming der Hauptbrennkammer kein Gegendruck besteht, führt dies zu einem hohem Turbinendruckgradienten und zu einem starken Anstieg der HPFTP-Geschwindigkeit. Die höhere HPFTP-Geschwindigkeit ist für einen kalten, treibstoffreichen Start wünschenswert. Jedoch muß der Turbinengegendruck (Hauptbrennkammer-Priming) rasch aufgebaut werden (Bild 2).


Bild 2: Das Priming des Wasserstoffvorbrenners führt zu einem starken Anstieg der HPFTP-Geschwindigkeit.    (Grafik: NASA via Biggs)

Priming der Hauptbrennkammer wird primär durch die Positionierung des Hauptsauerstoffventils gesteuert. Nach einer anfänglichen Verzögerung von 0,200 s wird das Hauptsauerstoffventil langsam bis knapp unter 60 % geöffnet. Diese Kombination aus Zeitverzögerung, Öffnungsgeschwindigkeit und Ventilstellung erlaubt eine Sauerstoffflußrate, die nach 1,5 s zum Priming der Hauptbrennkammer führt und erzeugt ein Triebwerkssystemgleichgewicht, das ein sicheres, niedriges Mischungsverhältnis (zwischen 3 und 4) für die stabilisierte Triebwerksfunktion herstellt, kurz bevor nach 2,4 s die closed-loop Schubkontrolle aktiviert wird. Wenn nach 1,5 s das Priming der Hauptbrennkammer erreicht wird, verursacht dies einen rapiden Anstieg des Hauptbrennkammerdruckes. Das bewirkt durch den Anstieg des Turbinengegendruckes ein Abbremsen der HPFTP (Bild 3).


Bild 3: Priming der Hauptbrennkammer (MCC) durch Positionierung des Hauptsauerstoffventils (MOV).    (Grafik: NASA via Biggs)

Das Sauerstoffvorbrenner-Priming wird durch das Sauerstoffvorbrenner-Sauerstoffventil (OPOV) gesteuert. Nach einer Verzögerung von 0,120 s wird es geöffnet, jedoch entfernt dieses Öffnen lediglich die Ventileinlaßdichtung, die ausreichend Sauerstoff für den Funkenzünder bereitstellt und einen kleinen Leckagefluß zum Injektor des Sauerstoffvorbrenners erlaubt. Das Ventil ist so entworfen, daß der wesentliche Sauerstofffluß nicht erlaubt wird bevor das Ventil zu mindestens 46 % geöffnet ist. Die langsame Öffnungsbewegung führt zu einer Verzögerung des Sauerstoffflusses von 0,84 s. Zu diesem Zeitpunkt beginnt Hauptsauerstofffluß durch das Ventil. Dieser Weg ist für 0,333 s teilweise geöffnet bevor er erneut geschlossen und der Vorbrenner durch den Leckagefluß betrieben wird. Der Zeitablauf für diese Ventilbewegungen sorgt für eine ausreichende Sauerstoffversorgung für die Sauerstoffvorbrennerzündung bevor der zweite Dip der Treibstoffoszillation beendet ist und erzeugt eine signifikante Verringerung des Treibstoffmischverhältnisses. Die nächste Möglichkeit der Zündung wäre etwa eine halbe Sekunde später. Mit dem Ventilleckagefluß wird das Vorbrennerpriming bei 1,6 s erreicht und erzeugt einen Anstieg der Antriebsenergie beider Hochdruckturbinen. Der Energieanstieg stabilisiert sich bei etwa 2 s bei einem Hauptbrennkammerdruck von 25 % der nominalen Triebwerksleistung (Rated Power Level). Während dieser Zeit wird das Kammerkühlungsventil, das zum Startzeitpunkt voll geöffnet war, auf 70 % geschlossen, um für eine zusätzliche Kühlung der Hauptbrennkammer zu sorgen. Das Triebwerk arbeitet in diesem Zustand bis 2,4 s zur Sicherung der stabilen Funktion. Diese zusätzlichen 0,4 s erlauben den Ausgleich normaler Variationen der Treibstoffdrücke und -temperaturen.


Bild 4: Sauerstoffvorbrenner-Priming mit Hilfe des Sauerstoffvorbrenner-Sauerstoffventils (OPOV).    (Grafik: NASA via Biggs)

Startsequenz: Schubaufbau

Der MEC prüft die sichere Zündung und Funktion des Triewerks durch die Triebwerkssensoren bei 1,7 s und erneut bei 2,3 s. Sollte keine Fehlfunktion festgestellt werden, wird die closed-loop Schubkontrolle bei 2,4 s aktiviert. Der MEC vergleicht den gemessenen Brennkammerdruck mit einem vorprogrammierten Brennkammerdruckanstieg zur nominalen Triebwerksleistung und steuert das Sauerstoffvorbrenner-Sauerstoffventil, so daß Abweichungen ausgeglichen werden. Während dieser Zeit wird das Wasserstoffvorbrenner-Sauerstoffventil durch den MEC lediglich proportional zur Bewegung des Sauerstoffvorbrenner-Sauerstoffventils bewegt und das Kammerkühlventil wird entsprechend des befohlenen Brennkammerdruckanstiegs geschlossen. Aufgrund der dynamischen Triebwerksreaktion liegt der aktuelle hinter dem befohlenen Kammerdruck etwa 0,200 s zurück. Bei 3,8 s wird die closed-loop-Kontrolle des Treibstoffmischverhältnisses aktiviert, wozu das Wasserstoffvorbrenner-Sauerstoffventil benutzt wird, um die Flußrate solange anzupassen, bis das vorgesehene Mischungsverhältnis erreicht worden ist. Bei 5 s hat das Triebwerk seine Funktion bei nominaler Leistung und einem Mischungsverhältnis von 6 : 1 stabilisiert.

Bei T - 3 Sekunden müssen alle drei Triebwerke mindestens 90 % ihrer Schubleistung erreicht haben, was durch den Treibstoffverbrauch gemessen werden kann. Die Triebwerksdüsen werden jetzt in Position zum Abheben des Shuttles geschwenkt, der Null-Position. Die Zündung der Haupttriebwerke schon 6,6 Sekunden vor dem eigentlichen Abheben hat neben der sicheren Funktionsüberwachung auch den Sinn, daß der sog. "Twang" ausgeglichen werden kann. Als "Twang" wird die Kippbewegung des Systems nach dem Zünden der Triebwerke bezeichnet, die etwa 65 cm beträgt. Kurz vor Erreichen von T - Zero wird die Ausgangsposition nahezu wieder erreicht.

T - Zero: Liftoff

Dann, bei T - Zero, zünden die Feststoffbooster, die Raumfähre hebt ab und erreicht nach 8,5 Minuten die Erdumlaufbahn

Die folgende Tabelle gibt die Ereignisse der Startsequenz wieder. Die angegebenen Zeiten beziehen sich auf Sekunden nach dem Triebwerks-Startkommando.

Space Shuttle Main Engine Startsequenz
 0      s Triebwerkstartkommando
 0      s vollständige Öffnung des Hauptwasserstoffventils (MFV)
 0,25  s 1. Treibstoff-Dip
 0,75  s 2. Treibstoff-Dip
 1,25  s Sicherheitscheck der Drehzahl der Hochdruck-Wasserstoff-Turbopumpe (HPFTP)
 1,25  s 3. Treibstoff-Dip
 1,4   s Priming des Wasserstoffvorbrenners
 1,5   s Priming der Hauptbrennkammer
 1,6   s Priming des Sauerstoffvorbrenners
 1,7   s 1. Überprüfung der Triebwerkszündung durch Main Engine Controller (MEC)
 2,3   s 2. Überprüfung der Triebwerkszündung durch MEC
 2,4   s closed-loop Schubkontrolle wird aktiviert
 5     s Triebwerksfunktion bei 104 % Leistung stabilisiert


STS - 113 Atlantis 7 Sekunden nach dem Abheben am 23. November 2002
Main Engines No. 2050-2, 2056-2 und 2045-2 bei 104 % Schub
Quellen: 11, 24



letztes Update: 11. September 2005, 20:43:19